Wenden wir uns zunächst dem letzteren zu. Im Bereich der Heimatvereinigung Schiffenberg ist der Pfahlgraben ein Teil des Obergermanischen Limes, der sich in Süddeutschland in den Rhätischen Limes als feste Mauer in Stein fortsetzt, der sog. Teufelsmauer, wie sie der Volksmund dort nennt. Die Anlage hatte die Aufgabe, die römischen Militärlager am Rhein mit den Donaubefestigungen zu verbinden. Sie begann bei Rheinbrohl im Neuwieder Becken, erstreckte sich über eine Gesamtlänge von 550 km bis an die Donau, die sie in der Mitte zwischen Ingolstadt und Regensburg erreichte. Der große Brückenkopf, der damit auf dem linken Rheinufer geschaffen worden war, diente zugleich als Flankenschutz für das damals von den Römern besetzte Gallien, unter dem wir das heutige Frankreich zu verstehen haben. Seine Errichtung erfolgte aber auch aus der Erkenntnis, dass eine Eroberung des gesamten germanischen Raumes bis hin zur Elbe-Saale-Linie, die bereits um die Zeitwende von den Römern angestrebt wurde, unmöglich war. Am Posten 49, im Streckenabschnitt 4, wo jetzt die Nachbildung eines römischen Wachtturmes gleichsam wie ein einsamer Zeuge für eine Zeit steht, die in das Bewusstsein des abendländischen Menschen ihren Platz unmittelbar neben der griechischen Antike einnimmt1 schob sich dieser Brückenkopf am weitesten nach Norden vor. Er steht fast genau im Scheitelpunkt des „sinus imperii ramani", wie die antiken Schriftsteller diesen kühnen Bogen, der sich zwischen Rhein und Donau spannte, nannten. Es waren die Chatten, deren ältestes Stammesgebiet um die Schwalm, Eder und Fulda lag, die ständig danach strebten, es nach Süden auszudehnen, mit dem Ziele der Eroberung der Wetterau.

Den wechselvollen Kämpfen der Römer mit diesem Germanenstamm, die sich sicherlich auch dort abgespielt haben mögen, wo heute der Bauer unter dem Schiffenberg seinen Pflug durch die Felder führt, hat der römische Geschichtsschreiber und Schriftsteller Tacitus († 117 n. Chr.) in seiner „Germania" und in den „Analen" einen breiten Raum gewidmet. Er nennt sie dort den tüchtigsten und für die Römer gefährlichen germanischen Volksstamm und hat ihnen so ein besonderes Denkmal gesetzt.

Damit der Limes als das bedeutendste Bauwerk der römischen Antike auf deutschem Boden, das mit annähernd 1000 Wachttürmen und 100 Kastellen versehen war, deren Spuren die Jahrhunderte schon nahezu gänzlich verwischt hatten, nicht noch gänzlich in seinen Resten verfiel, wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die sog. Reichslimeskommission gegründet mit dem Ziele, der Erforschung und Erhaltung der Anlagen, die noch verblieben waren. Das umfangreiche Material, das dabei zu Tage gefördert werden konnte, ließ drei grobe Bauabschnitte erkennen.

Schon Kaiser Vespasian (69 - 79 n. Chr.) begann mit der Anlage einer Grenzwehr, welche entsprechend der ursprünglichen Bedeutung des lateinischen Wortes ,,limes", d. h. Grenzweg, anfangs nur aus einem solchen befestigten Postenweg mit kleinen Erdschanzen und einem Zaun aus dicken Bohlen bestand. In bestimmten Abständen befanden sich Türme aus Holzwerk auf kleinen Hügeln mit einer Grabenumfassung als Schutz. Die Verbindung nach rückwärts und nach der Seite wurde durch Schall- und Lichtsignale aufrecht erhalten.

Unter Kaiser Domitian (81 - 96 n. Chr.), der die bereits erwähnten Chatten im Jahre 86 n. Chr. in einer großen Schlacht entscheidend schlagen konnte, wurde der Limes zu einer zusammenhängenden Grenz- und Verteidigungslinie, die in ihrem Verlauf so festgelegt wurde, wie sie sich uns heute darstellt. Schließlich wurden die Anlagen in einem späteren Zeitabschnitt immer dauerhafter. Die Holztürme wurden durch Steintürme ersetzt, die Palisaden dichter gemacht und an die Türme herangenommen, ein Graben wurde gezogen, der spitz zulief, 2 m tief und 8 m breit war. Der Erdaushub wurde als Wall aufgeworfen, dessen Höhe 2 m, seine Breite sogar 10 m betrug. Jetzt liefen die Posten nicht mehr auf den Grenzwegen, sondern auf dem neuen Wall. Es hat also viele Jahrzehnte gedauert, bis der Pfahlgraben über die einfache Wegführung bis zu einem wirkungsvollen Befestigungswerk hinausgewachsen war.

Wer wurde nun zu den Bauarbeiten eingesetzt? Es waren Legionäre und Hilfstruppen. In Obergermanien standen damals zwei Legionen, die Legio XXII Primiglia mit dem Standort Mainz und die Legio VIII Augusta. Die festen Lager der XXII. Legion lagen auch über die Wetterau verstreut, u. a. befand sich ein Römerlager in Butzbach. Von ihm aus sind die Legions- und Hilfstruppen zum Bau von Befestigungen und Wegen, zum Bäumefällen und Steinebrechen im Limesbereich auf der Gießener Schwelle eingesetzt worden.

Am Poslen 4/49 waren die geringen Spuren von Wall und Graben, die aus der Vergangenheit verblieben waren - beide führten übrigens von den Ausläufern des Wetterauer Taunus - über Pohl-Göns kommend fast geradlinig auf ihn zu -, noch am besten in dem Wiesen- und Ackergelände erhalten. Deshalb wurde der Wall auch im Zuge der Erstellung des Wachtturmes mit zwei Palisaden in verschiedener Ausführung bestückt, an denen die allmähliche Vervollkommnung im Ausbau der Verteidigungslinie an einem Beispiel demonstriert werden sollte. Von dem kleinen Kastell Grüningen und dem Kastell Hainhaus (Waldhaus), das letztere mag zu Füßen des Landrückens, jenseits der Straße Watzenborn-Steinberg - Grüningen gelegen haben, die den Pfahlgraben schneidet, ist nichts erhalten geblieben. Doch hat das im Mittelalter ausgegangene Dorf Pohlheim (Pfahlheim) und haben die heute noch nach ihm be­nannten Wiesen und der Pohlheimer Wald die Erinnerung an den Verlauf des Pfahlgrabens an dieser Stelle bewahrt. Von ihr strebte er, fast rechtwinklig, nach Südosten abbiegend, der Autobahn zu und weiterhin dem Wettertal, das er nordöstlich von Kloster Arnsburg, in der Nähe des Kolnhäuser Hofes, erreichte.

Wenn der Pfahlgraben bis über die Gießener Schwelle hinaus verlegt wurde, dann deswegen, weil den Römern die naturhafte Ausstattung der Wetterau mit fruchtbaren Lehm- und Lößböden nicht verborgen geblieben war. Diese Böden und das milde Beckenlandklima machten sie schon zu ihrer Zeit zu einer der wertvollsten Agrarlandschaften, aus der die römischen Besatzungstruppen lebten. Unter den dauernden Angriffen germanischer Völkerschaften brach diese Wehranlage und Grenze eines Weltreiches, das sich über Nordafrika und weite Teile Europas erstreckte, im Jahre 260 n. Chr. zusammen. Manche Historiker vertreten die Ansicht, dass die Chatten zu diesem Zeitpunkt endgültig in die Wetterau bis zu dem Zusammenfluss von Nidda und Nidder vorgedrungen seien. Andere wieder erklären, dass in dem genannten Jahr ihr Name bereits aus den Geschichtsquellen verschwunden ist und erst 720 in der Form „Hassi" wieder auftaucht.

Selbst wenn man den strategischen Wert des Limes einmal unberücksichtigt lässt, so bleibt doch seine Bedeutung insofern unbestritten, als er die römische Kultur nahezu bis zu dem Zeitpunkt bewahrte, zu dem sie über das Christentum Eingang in das Abendland fand, das sie auch als Mittler der Kultur der griechischen Antike wesentlich mit geprägt hat.

Mit der Zerstörung des Limes und dem Rückzug der Römer auf ihre Ausgangsstellungen in Gallien, fiel das Land auf der Sonnenseite des Schiffenberges keineswegs in die geschichtliche Bedeutungslosigkeit zurück. Wenn der deutsche Dichter Wilhelm Raabe einmal von der Heimatgeschichte als einer Bühne des Welterlebens" spricht, auf der sich Glück und Elend des Daseins neben anderen Gegensätzen widerspiegeln, so erbringt die Geschichte des Augustiner Chorherrenstiftes auf dem Schiffenberg, im besonderen aber der Anlaß, der, neben anderen Überlegungen zu seiner Gründung führte, den Beweis dafür. Sie hat sich - und das ist bei allen Beschreibungen des Klosters bisher viel zu kurz gekommen - vor einem hochpolitischen Hintergrund vollzogen. Wenn auch die große Auseinandersetzung zwischen König Heinrich lV. und seinem Widersacher, Papst Gregor VII., die unter dem Namen „Investiturstreit" in die Geschichte eingegangen ist, schon 20 Jahre zurücklag, als der Grundstein für die Klosterkirche auf dem Schiffenberg gelegt wurde, so bleibt dieser kompromisslos geführte Machtkampf der eigentliche Anlass, wenn auch nicht der einzige, dafür.

Die Zeit der großen Reichsklöster Fulda, Hersfeld und Lorsch (Ried), die alle in das karolingische 8. Jahrhundert zurückgehen, war vorbei, als im staufischen 12. Jahrhundert eine neue Welle von Klostergründungen durch unsere engere und weitere Heimat ging. So entstanden die Klöster Ilbenstadt (1123), Arnstein a.d. Lahn (1139), Arnsburg (1171), das Kloster Altenberg bei Wetzlar und schließtich das Kloster Schiffenberg im Jahre 1129. Die Gräfin Clementia vom Gleiberg lebte bereits in zweiter Ehe mit dem Grafen Gerhard zu Geldern, als sie im Juni des genannten Jahres in Trier, am Altar des heiligen Petrus, die Stiftung des Klosters Schiffenberg niederlegte. Zu Lebzeiten ihres ersten Mannes, des Grafen Konrad I., einem Enkel Friedrichs I. von Luxemburg, wurde das damalige Reich der Deutschen, wie bereits angedeutet, von dem erbitterten Kampf zwischen Papst Gregor VII. und dem kühnen und leidenschaftlichen jungen König Heinrich IV. erschüttert. Es ging dabei um den Primat der päpstlichen vor der königlichen Gewalt, der geistlichen vor der weltlichen. Dieser Kampf führte den König durch alle Höhen und Tiefen. Er begann schließlich mit der Absetzung des Papstes auf dem Reichstag zu Worms und endete mit dem Bußgang des Königs nach Canossa. Zu den festesten Stützen Heinrichs aber, über den der Kirchenbann verhängt worden war; zählte Konrad I., der Ehegatte Clementias. Als er, dessen Grafschaft im Erzbistum Trier gelegen war, gar den Erzbischof Eberhard von Trier gefangen nahm, verfiel er ebenfalls dem Kirchenbann. In der gleichen Treue wie der Vater stand der Sohn zur Sache des Königs. Schließlich unternahm Konrad eine Pilgerfahrt nach Palästina. Selbst wenn man sie als eine Art „Aktion Sühnezeichen" und als Ausdruck der inneren Umkehr bezeichnen darf, so versprach sich seine Witwe erst mit der Klostergründung eine wirkliche Absolution für seine Seele, was bei dem Gewicht, das die Religiosität im Leben des mittelalterlichen Menschen spielte, für ihn von einer Bedeutung war, die wir heute gar nicht mehr ermessen können. Der Gießener Künstler Bartsch-Hofer hat diesen Augenblick, in dem Konrad zu der Pilgerfahrt aufbricht, von der er nicht heimkehrte, in einer Bilderfolge zur Geschichte des Schiffenberges im Flur der Komturei, der jetzigen Gaststätte, eindrucksvoll dargestellt.

Mit der Stiftung zu Trier war die Schenkung van 2 Huben Ackerlandes zu Konradsrod verbunden, die etwa 60 Morgen oder 15 ha entsprechen. Ferner gehörten zu ihr noch 20 Huben Wald, also 600 Morgen. Damit war die wirtschaftliche Existenz der Mönche gesichert und die Erschließung des großen Wiesecker Waldes, der sich vom Limes im Süden bis weit in die Wieseckaue erstreckte, konnte beginnen.

Jetzt entstanden zahlreiche Dörfer im Tale des Lückenbaches, u. a. Wazenburne und Garwardiseich, das heutige Watzenbarn und Garbenteich. Die ursprünglichen Namen lassen vermuten, daß die ersten Siedler den Namen „Wazo" und ,,Gariward" trugen. Zu den beiden Dörfern kamen ferner die Dörfer Erlebach, Frohnebach und Cotthen, die aber später wieder ausgegangen sind. In Watzenborn bestand bereits um das Jahr 1130 eine Taufkapelle, in der der Gottesdienst von den Schiffenberger Mönchen besorgt wurde, was auch für die übrigen Neuroddörfer galt. Hausen wird neuerdings als Siedlung aus der Karolingerzeit angesprochen. Einen eindeutigen Beweis dafür, dass es nicht zu den sog. Neuroddörfern gehört, gibt es allerdings nicht.

Im Jahre 1323 geht das Kloster in den Besitz des Deutschen Ritterordens über. Die Gründe dafür erfahren wir aus der Auflösungsurkunde des Erzbischofs Balduin von Trier. Dort ist folgendes zu lesen: „Wahrlich nicht ohne Schmerz und ungewöhnlich große Bitterkeit im Herzen müssen wir unter Trauern bekennen, wie das Kloster Schiffenberg der regulierten Chorherren vom Orden des heiligen Augustin in unserem Trierer Sprengel, das in alten Zeiten mit ausreichenden Gut dotiert war, in welchem auch damals mit Gottesgnade des Ordens Zucht lange in voller Kraft blühte, jetzt durch Sündenschuld in einen so erbärmlichen Zustand herabgesunken ist, dass in diesem Kloster Gott nicht mehr geehrt, der Gottesdienst nicht mehr gehalten wird, und die Brüder, nachdem sie mit dem Habit (gemeint ist die Mönchskutte) auch die klösterliche Zucht abgeworfen, nun wie Vagabunden, unstet, ohne Oberen und fast unverbesserlich außerhalb des Klosters umherschweifen, nachdem sie sowohl die beweglichen, als auch unbeweglichen Güter, die Bücher und heiligen Gefäße und anderes kirchliches Gerät verkauft, zerstückelt, zerstreut, veräußert und zum größten Teil verzehrt haben. Ja, das Kloster selbst, das ehemals ein Haus Gottes und frommer Menschen war, ist durch den Feind der Religion, den Sämann des Unkrauts, ein Gegenstand des Ärgernisses und der Schmach für die Nachbarschaft geworden."

Nahezu 500 Jahre verblieb der Schiffenberg letzt im Besitz der Deutschherren, bis die Komturei Schiffenberg im Jahre 1803 durch Reichsdeputations-Hauptschluß aufgelöst wurde. Ein Dekret Napoleons verfügte unter dem 24. April 1809 schließlich die Aufhebung des Deutschen Ritterordens in allen Staaten des Rheinbundes. Er machte den Schiffenberg dem Landgrafen und späteren Großherzog Ludwig II. von Hessen zum Geschenk. 1848 ging dieser Privatbesitz in Landeseigentum über. Der Schiffenberg wurde Staatsdomäne.

Von den romanischen Klosteranlagen ist außer der ehemals dreischiffigen Basilika nur noch das Pförtchen erhalten, das vom Hof auf die Terrasse führt. Alle anderen Gebäude sind später entstanden, zuletzt die Wirtschaftsgebäude. Durch die schönen barocken Wappen aus rotem Buntsandstein, die auf eine Reihe früherer Komture hinweisen, die aus dem hessischen Adel kamen, wird eine Brücke zwischen zwei zeitlich weit auseinandergelegenen Epochen geschlagen, zwischen der Romanik und dem Barock, dem 12 und 18. Jahrhundert.

Ein ungleich weiterer Bogen aber spannt sich über die bewegte Vergangenheit der Heimat zwischen Limes und Schiffenberg, der hier nur mit wenigen markanten Strichen nachgezogen werden konnte, aus einem Anlass, der zu einem Markstein in der Geschichte der Heimatvereinigung Schiffenberg werden möge, die sich neben der Landschaftspflege auch um die Bewahrung heimatlichen Kulturgutes und Brauchtums schon lange mit Erfolg bemüht und damit verdient gemacht hat.

 

Zur Baugeschichte des Wachtturms

Die Anregung für die Errichtung des Wachtturms ging von Watzenborner Heimatfreunden gelegentlich einer Wanderung am Limes im Jahre 1966 aus, an der auch der ehemalige Vorsitzende, Staatsminister Albert Oßwald, teilnahm.


Nachdem das Bauvorhaben von dem Gesamtvorstand und den Mitgliedern gebilligt worden war, wurden die Heimatfreunde Dipl.-lng. Walter Kolmer und Karl-Heinz Knaus vom Ortsverein Hausen mit der Planung und Bauleitung beauftragt. Ausgeführt wurde der Bau von den Firmen Kurt Ruhl, Watzenborn-Steinberg, Karl Pitz, Weißbindergeschäft, Watzenborn-Steinberg, Georg WeIler K.-G., Leihgestern und Erich Carlé', Gießen. Federführend war der Vorsitzende des Ortsvereins Watzenborn-Steinberg. Die Finanzierung hatte das Land Hessen übernommen. Bis zu einem gewissen Umfang erfolgte sie auch durch Eigenleistung der Mitglieder.

 

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